*1972, Munich

1992-99 Studies of Architecture, TU Munich

photographic works since 1995

 

landscapes: remixed

Mit einer Metapher aus der Musik erklärt uns Georg Kuettinger die Grundlage seiner Werke: wie der remix in der Musik ein Stück neu interpretiert, so wird eine Landschaft in Einzelbilder zerlegt und in der Fokussierung auf einzelne Aspekte, Rhythmen und Abfolgen zu einem Bild verdichtet. Der Künstler fragmentiert um zu konstruieren. Multiperspektivität und Gleichzeitigkeit sind die Paradigmen, die einen neuen Bildraum erzeugen. Die Wahrnehmung selbst wird hierbei zur Technik: das Momentum des Wahrnehmens wird ausgedehnt und bearbeitet, chiffriert oder dechiffriert auf der Grundlage des Gegebenen. Die Bilder sind nicht aus Zeit und Raum herausgelöst, sondern in ihnen nur anders strukturiert: sie schaffen sich ihr eigenes Koordinatensystem. Sie bilden keine objektive Realität ab und schließen nicht die endlos vielen Möglichkeiten aus. Die Kunst des Fragmentes und der Vielfältigkeit liegt bei Kuettinger in der Darstellung mehrerer Möglichkeiten und Perspektiven in einem Augenblick. Das Bild wird zum Kontext, in dem die Aspekte, die Rhythmen und die Charakteristika einer Botschaft, einer Musik und einer Landschaft komprimiert werden. Die Kraft dieser Bilder liegt im Verzicht auf ideologische und ästhetische Manifeste und im Verweis auf die Möglichkeit von Freiheit und die Freiheit der Möglichkeiten. Kuettinger bewegt sich auf der Grenze zwischen (möglichem) Bild und (objektiver) Landschaft und schreibt seine entworfene und wahrgenommene Realität. Wir können die verschiedenen Bilder als einen Roman lesen über die Möglichkeit der Verfügbarkeit von Bildern und deren Interpretation. (Auszug aus einem Pressetext: März 2010)

 

INTERFERENZEN

Interferenzen nennen sich die neuen Arbeiten des Fotokünstlers Georg Küttinger. In ihnen setzt er seine Auseinandersetzung mit dem Thema der Wahrnehmung und des Wahrnehmbaren sowie deren Möglichkeitsspielräumen fort. Was wird in einer Interferenz sichtbar? Und worauf verweist sie? In der Physik beschreibt die Interferenz die Überlagerung zweier oder mehrerer Wellen, die sich gegenseitig durchdringen. Eine Welle hat eine Amplitude, also eine Auslenkung, mit positivem oder negativem Vorzeichen. Dieser Effekt tritt bei allen Arten von Wellen auf, also auch bei Lichtwellen. 

Die Motive der Überlagerung, des Durchdringens und der Auslenkung begegnen uns in Küttingers Werken, die sich mit dem befassen, was zwischen dem Bild und dem Betrachter liegt. Und dies ist ganz wörtlich gemeint. Beschäftigten sich schon die früheren Arbeiten des Künstlers mit dem Vorgang der Wahrnehmung in seiner Fokussierung auf verschiedene Stand- und Zeitpunkte, so geht es in den neuen Werken zusätzlich um den Raum, der zwischen dem Betrachter und dem eigentlichem Bild liegt, indem dieser als Medium fungierende Raum selbst miteinbezogen und modelliert wird. 

Die Arbeiten bestehen aus einer fotografischen Komposition und mehreren davor montierten Gießharzplatten. Diese transparenten Platten weisen manuelle Prägungen auf, die mit dem fotografischen Hintergrund korrespondieren und auf diesen reagieren, in ihren Formen und Strukturen also die dahinter- liegenden fotografischen Motive in Verschiebungen und Überschneidungen formal wieder aufnehmen. Als Grundlage für seine Fotoarbeiten wählt Küttinger abstrakte Motive, die er zu räumlichen Konstruktionen verdichtet. Oft fertigt er die motivischen Grundlagen als Modelle selbst an, die er unter verschiedenen Aufnahmebedingungen ablichtet.
Schon der Einsatz der Kamera bewirkt seinerseits eine Distanzierung und in gewisser Weise auch Objektivierung des Angeschauten, indem die Kamera das Objekt statisch abbildet und festhält. Küttinger verwendet nun zusätzlich die dazwischengeschalteten transparenten Platten – als eine Distanz zur distanzierten Abbildung. So wird die Objektivierung in eine dynamische subjektive Wahrnehmung aufgelöst, die durch das Spiel des Lichts und kleinste Änderungen des Blickwinkels ins Oszillieren gerät.
Mit jeder auch nur minimal veränderten Blickrichtung oder mit verändertem Lichteinfall kommt es zu neuen Überlagerungen, die eine andere Tiefenstruktur erzeugen und auch 

eine andere Sicht auf das zugrundeliegende Fotobild hervorrufen. Die Überlagerung der verschiedenen Schichten führt hierbei zu optischen Interferenzen und prismatischen Effekten. Die transparenten Schichten spannen einen Raum auf, der durch seine Strukturen und Muster das darunterliegende Fotobild ins Räumliche hervorzuholen scheint. Das Fotobild erscheint und reflektiert sich als Brechung in den Prägungen und wird somit an der Oberfläche sichtbar. Dieses Hervorholen des Dahinterliegenden setzt gleichzeitig dessen Distanz voraus, jene Distanz, in der die Beziehung zwischen Werk und Betrachter sichtbar wird. 

Durch die Konstruktion der transparenten Schichten kommt es zu einer Entkoppelung und Abstraktion, da die der statischen Aufnahmesituation gemäße Wahrnehmung durchbrochen und so ein neuer Bildraum und Bildkontext geschaffen wird. Das Fotobild und die sie überlagernden Prägungen befinden sich dabei nicht in einer Beziehung der Übereinstimmung, sondern verschaffen sich durch die Brechungen des Lichts gegenseitig Mehrdeutigkeiten und Interpretationsräume und fungieren somit wie qualitative Transformationen auf unterschiedlichen Ebenen. Transparenz ist das Prinzip, auf das sich alles Sehen stützt. Transparenz und Licht sind das Medium der Wahrnehmung. Ein Bild sehen setzt Transparenz voraus, denn nur durch sie und durch sie hindurch kann man sehen. Transparenz etabliert die Distanz, die dem Sehen innewohnt, da das Auge nur das 

sieht, was es nicht berührt. Sie ermöglicht die Einwirkung des Lichts auf die Sehkraft. Aber nicht nur des Lichts, sondern auch der Schatten, die in Küttingers Arbeiten durch die verschiedenen Formen und Tiefen der Prägungen hervorgerufen werden. Der Künstler modelliert diese Transparenz und somit den direkten Zugang zum Objekt (Foto), das nur- mehr in seiner Verschränkung mit dem Medium (transparente Platten) erfahrbar wird. Das zugrundeliegende Fotobild, das sonst dem Sehen unmittelbar zugänglich ist, wird durch die Interferenz mit den geprägten Formen und ihrem Schattenwurf dimensioniert und kann von den Augen permanent neu abgefragt und hinterfragt werden. Dieses Fotobild ist nicht als statisches Bild abrufbar, sondern wird erfahrbar erst, wenn es mit den Augen immer wieder zusammengesetzt wird in einem nichtfixierenden Sehen, das dem Sehen gleicht, was wir sonst bei bewegten, dynamischen Wahrnehmungsakten leisten. Die modellierte Transparenz dynamisiert das Abgebildete, indem sie es auf unterschiedlichen Ebenen zeigt, es hervorholt und auf Distanz hält, und indem sie es, wie beim Sehakt selbst, nur über Ergänzungen und Interpretationen erfahrbar macht. Sichtbares wird durch Überlagerung unsichtbar, Unsichtbares durch Überlagerung sichtbar. Und was bedeutet Sehen anderes als eben dieses Ausloten der Beziehung zwischen Unsichtbarem und Sichtbarem? 

 

Vivien Baer, MA phil.  (Katalogtext 2022)